Kurzfassung: Ja, es ist schon echt besch….eiden. Aber: auf eine Art, die einen erstaunlich zuverlässig bei der Stange hält.
Vorweg: Für Trash war ich mir bisher nie zu schade. Und, wichtig: Spoiler alerts.
Umso überraschender ist es vielleicht, dass ich All’s Fair ursprünglich gar nicht schauen wollte. Immerhin ist es nur ein weiteres Hochglanz-Prestigeprojekt der Kardashian/Jenner Familie mit Promi-Casting und Ryan Murphy im Gepäck – nein danke. Überredet hat mich schließlich ausgerechnet eine Rezension im Economist, in der die Serie zerissen und als womöglich „the worst television drama ever made“ etikettiert wurde, inklusive der Randnotiz, dass das jeden enorm erheitert habe. Das klang für mich glatt nach einer Einladung ^^
Wer All’s Fair komplett gesehen hat, weiß: Die Serie kokettiert damit, ein seriöses Legal Drama zu sein, lässt einen von „Legal“ aber wenig verspüren. Erzählerische Qualität? Fehlanzeige. Es ist eher eine Mischung aus Camp, Eskalation und natürlich der immerwährenden Frage: Wie weit ziehen sie das jetzt noch durch?
Einordnung für Uninitiierte
Im Zentrum steht eine neu gegründete, von Frauen geführte Scheidungskanzlei in Los Angeles, die sich explizit als feministische Gegenmacht zu einer männlich dominierten Rechtswelt versteht. Es geht um teure Prenups, Machtkämpfe zwischen Ex-Eheleuten, um Geld, Status, Rache und theoretisch um Recht.
Praktisch allerdings rückt der juristische Aspekt sehr schnell in den Hintergrund zugunsten von internen Konflikten, persönlichen Traumata und einem Dauerfeuer an markigen, oft absurd klingenden One-Linern. Und das fängt direkt damit an, dass Episode 1 so tut, als wäre sie ein Legal Drama mit klassischen clear-cut cases. Nur bestehen diese in großen Teilen aus „Kim muss traurig gucken“, zuerst im Streit bei der Arbeit, dann in einem der wenigen Scheidungsfälle, dann in Luxuskleidung als ihr Ehemann sie verlässt.
Episode 2 treibt es noch härter: wenige Minuten nach Beginn springt eine in einen Fall verwickelte Protagonistin vom Balkon der Kanzlei. Die Inszenierung lässt offen, ob das jetzt Drama ist, oder eher ein schlechter Witz – etwas, was sich durch die ganze Serie zieht.
Auf Meta-Ebene: „Law“ als Beisache
Das vielleicht beste Symbol für den ganzen Ton ist ein Kostüm-Detail, das sich selbst der kühnste Serienschreiber nicht ausdenken könnte: Kim Kardashian als Allura Grant trägt während einer vermeintlich seriösen Besprechung eine Weste, Krawatte und – jetzt kommts – einen sichtbaren Thong. Offensichtliches Zeichen eines Rechtsexperten, witzelt der Economist, zumindest ungewöhnlich für den Kontext, in dem die Szene stattfindet. Das ist wahrscheinlich als edgy Power-Look gedacht, liest sich aber eher wie ein bisschen Boss-Bitch gemixt mit Werbung für Skims.
Und irgendwie ist das auch die ironische Meta-Story hinter dem ganzen Projekt: Kardashian dokumentiert ihren realen Juristenweg ja selbst öffentlich – inklusive Rückschlägen. In einem Instagram-Post schreibt sie etwa: „On November 7th, I found out I didn’t pass the bar.“ Wenn es also schon (noch) nicht mit „echte Anwältin“ klappt, dann zumindest mit der nächstbesten Ersatzhandlung: Serienanwältin spielen in maximalem Glamour, mit Power-Suit, Boardroom-Posing und „Prenup“-Buzzwords als Dialog-Tape. All’s Fair wirkt dadurch stellenweise wie ein juristisches Cosplay, das sich selbst für Prestige hält.
Selbst die Namen wirken eher… interessant. Allura Grant (Kim Kardashian), Emerald Greene (Niecy Nash), Carrington „Carr“ Lane (Sarah Paulson), Liberty Ronson (Naomi Watts) und Dina Standish (Glenn Close) könnten auch als Beauty-Produkte oder Farben missverstanden werden.
Warum es vielleicht doch kein kompletter Totalschaden ist
Kim Kardashian strampelt sich sichtbar ab, sie ist eben keine Schauspielmaus. Ihre Art zu spielen ist erwartbar, ihr Ergebnis leider überschaubar. Man erinnere noch an das legendäre Interview mit Barbara Walters, in dem die Kardashian-Schwestern sinngemäß einräumten: Wir haben kein Talent, aber wir entertainen Menschen. Genau diese Logik scheint auch hier zu greifen. Vor allem im direkten Vergleich zu ihren wirklich hochkarätigen Serienkolleginnen wird deutlich, dass Emotionen für sie eher theoretischer Natur sind. Ob es an mangelndem Talent liegt oder an einem Gesicht, dass so stark optimiert wurde, dass man ihm kaum noch Regungen ablesen kann, kann (und will) ich nicht entscheiden. Diesen Gedanken äußert auch Edvasian im Video Hollywood’s Frozen Face Problem: Wenn „undetectable“ Beauty-Eingriffe das Ziel haben, jünger zu wirken, aber gleichzeitig Mimik glätten, einfrieren und die Haut/Faszien „auf Spannung“ setzen, entsteht diese merkwürdige Nebenwirkung, die für Schauspiel eigentlich tödlich ist: Das Gesicht bleibt im gleichen Influencer-Default hängen, selbst wenn die Szene Wut, Angst, Schmerz oder Entschlossenheit verlangt.
Und das ist bei All’s Fair leider ständig spürbar. In Momenten, in denen sie innerlich kochen müsste (Betrug, Demütigung, Machtkampf), wirkt Allura nicht kontrolliert oder „stark“, sondern schlicht: unbewegt. Es fehlt dieses minimale Spiel, das Edvasian so treffend beschreibt – ein kurzes Stirnrunzeln, ein Mikro-Zucken im Kiefer, ein echter Blickwechsel. Ohne diese kleinen Signale sehen Trauer, Empörung und „Boss Bitch“-Energie am Ende gleich aus und man glaubt ihr die Emotion nicht, weil die Serie sie zwar behauptet, aber ihr Gesicht sie nicht erzählen kann. Ihr Gesicht wirkt stets „inkonkludent“, wie ein Therapeut mir meine Mimik einmal passend beschrieb.
Dafür funktioniert das Drumherum etwas besser als erwartet. Der Serien-Ehemann „Chase Munroe“ (ein totales Babe) ist zwar dramaturgisch dünn gezeichnet, aber effektiv – er bangt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, inklusive Alluras ausgemachter Antagonistin Carr:
Carr: Mr. Fireman. Well, I see your hose is fully pressurized.
Chase: Locked and loaded. But it might be safer if I enter through the back door.
[...]
Carr: Please be gentle. It's been a while. And that passage way has mostly been used as an emergency exit.
Ein self-confessed Sex-Addict also. Glenn Close ist – wenig überraschend – eine Klasse für sich und verleiht dem dann doch dünnen Material etwas mehr Gravitas, als es eigentlich verdient. Man hat fast den Eindruck, sie spiele in einer eigenen, ernst zu nehmenden Serie. Und dann noch eine unerwartete kleine Freude: Ed O’Neill taucht auf, als Dinas im Sterben liegender Ehemann. Dementsprechend kurz, aber trotzdem sehr willkommen, insbesondere, weil ich gerade mit meinem Modern-Family-Watchathon durch bin.
Wirklich bemerkenswert und zugegeben äußerst bizarr sind die Dia- und teils Monologe der Antagonistin Carrington Lane. Ihre Figur ist eine wahre Eskalationsmaschine bei der einem teilweise echt unwohl wird. Gerade wenn die Serie eigentlich mal still sein müsste – Dina ist nach dem Tod ihres Mannes in einer Art Schockstarre, die anderen versuchen vorsichtig Trost zu liefern („Grief is a heavy burden, even for someone as strong as you.“) – platzt Carr hinein und macht aus dem Moment sofort eine Bühne. Zuerst ihr allgegenwärtiges Dominanzspiel („I see. We’re hugging.“) und dann kommt der komplette Absturz in vermeintlich relatable trauma dumping, der so daneben ist, dass es eigentlich nur Satire sein kann.
Dina erklärt, dass ihr langes am Bett des Toten Verweilen für Scotch-Irish nicht außergewöhnlich sei, während Liberty äußert, sie mache sich sorgen um Dina. Cue Carr’s Monologue:
Reminds me of my pussy.
My kitty cat who died when I was five.
Mrs. Pussy.
She had feline AIDS. [...]
A child's grief [is] just as profound.
My pussy was my whole world.
And when my pussy died, I kept her in my bed for days stroking her and talking to her.
Of course, my mother, she got so angry.
"Stop playing with your pussy, Carr," she yelled.
But, uh, I refused to.
Even when my pussy started smelling really bad and got really crusty, I just stayed locked in my room, grieving in private because I just couldn't let go of my pussy.
Und, wenn die Serie ab und an mal so tut, als würde sie juristisch arbeiten, klingt es oft nach „wir sagen ein paar Fachwörter und hoffen, dass es nach Kanzlei wirkt“. Da wird kurz erklärt, man wolle „a more personal picture“ davon, warum sich ein Paar scheiden lässt und zack, ist man in einer Backstory über Tech-Karrieren („I first met Matty when I moved from Microsoft to Google.“). Als ob das die entscheidende juristische Info wäre. Selbstverständlich ist es nicht per se schlimm, Charakter-Biografie zu erzählen, das machen alle Serien so, nur wirkt es hier oft eher wie eine Ablenkung vom eigentlichen Thema, weil Fälle und Verfahren nicht genug „Futter“ bekommen.
Und als wäre Carrs Dauer-Amoklauf nicht schon genug, gönnt sich die Serie in der finalen Folge 9 noch einen dieser Momente, in denen man gleichzeitig stöhnt und doch auf Cliffhanger trainiert weitergucken will. Erst wird die Kanzlei-Soap aufgedreht (Libertys Wedding-Prep eskaliert an Brautjungfernkleidern, die aussehen wie „Chelsea Flower Show meets Gardine von 1969“), dann kommt immerhin mal ein „juristischer“ Anstrich: geheime Partner-Abstimmung über Carr, Ergebnis 2:2, 48 Stunden später nochmal, streng geheim, blabla. Und dann schiebt die Serie den Thriller-Regler hoch: Carr nutzt das Chaos, um Dina als mental instabil zu framen: mit Textnachrichten, Medikamenten gegen Demenz, Aussagen der Hauskeeperin und einem Testament, das plötzlich 80 % an ebenjene Hauskeeperin vermacht, während Dina sagt: „Ja, das ist meine Handschrift. Ich erinnere mich nur nicht.“ Glenn Close spielt diese Mischung aus Würde, Verwirrung und Trotz so gut, dass man kurz wieder denkt, man sei in einer ernsthaften Serie gelandet. Natürlich hält All’s Fair das keine zwei Minuten durch, sondern beendet die Folge mit einem komplett anderen Genre: Aufzug geht auf, Detective betritt die Kanzlei, und Dina wird wegen Mordes verhaftet („You are under arrest for the murder of Lloyd Andrew Walton.“). Cut auf Pop-Song. Ende. Es ist so drüber, dass es schon wieder funktioniert: nicht weil es gut vorbereitet wäre, sondern weil die Serie genau weiß, wie man einen an der Leine hält – mit maximaler Unverschämtheit.
Rezeption
Die Rezeption des ganzen ist – man kann es sich denken – schlecht. Bei Rotten Tomatoes hat sich die Serie Stand heute von 0 auf immerhin 6 % hochgemausert, aber alle Berufs-Reviewer sind sich einig: Dat Ding is nichts. Und trotzdem ist es offenbar genau die Art schlechtes Prestige-Produkt, das als Gruppen-Erlebnis funktioniert: Man lästert, man zitiert, man bleibt dran.
Mein Fazit
All’s Fair ist keine gute Serie. Sie ist oberflächlich und inkonsistent: Sie startet wie ein legal drama, das Fälle und Kanzlei-Alltag verspricht, und landet dann sehr schnell bei internen Machtspielen, Trauma-Dumping und Sprüchen, die mehr nach Instagram klingen als nach echten Figuren. Das beschreibt der Economist ja auch ganz passend: In Episode 1 geht es im Kern darum, dass Kim Kardashian „sad“ gucken muss – einmal im Anzug, einmal im Boardroom, einmal in Loungewear. Und Episode 2 toppt das direkt mit einem Balkonsturz nach sieben Minuten, inszeniert irgendwo zwischen Tragödie und Comedy, inklusive der Zeile: “She couldn’t… stand another minute.” Das ist für mich die DNA der Serie: Sie will ernst sein, aber sie schafft es nicht.
Auf der Meta-Ebene wird es fast schon unfreiwillig ehrlich. Die Figuren heißen wie Farbtöne oder Porn-Actors, sitzen am Boardroom-Tisch und reden über Prenups, und als visuelles Highlight bekommen wir Kim in Weste, Krawatte und exposed Thong. Das ist natürlich als Power-Moment gedacht, zeigt aber eigentlich nur, dass „law“ hier oft ein Look ist, kein Inhalt.
Trotzdem: Freude macht die Serie dennoch ab und an. Glenn Close spielt, als wäre sie in einer anderen, besseren Serie. Sarah Paulson als Carr ist so drüber, dass es manchmal schon wieder Spaß macht – auch wenn es in Szenen wie der Trauer-Situation mit Dina eher einfach nur unangenehm wird (und genau da merkt man: die Serie kann ihre eigenen Emotionen nicht halten). Und ja: die Küchen sind wirklich absurd schön. Die Kanzlei sieht prächtig aus. Die Häuser zum Träumen. Die Outfits – herrlich. Das ist aber so das einzig Konsequente an der Serie.
Am Ende ist All’s Fair für mich weniger „so bad it’s good“ als „so fake it becomes funny“. Ein kitchen-island Drama: absurde Dialoge in lovely kitchens, und das Skript klingt teilweise wie aus einem Schmuddelfilmchen. Ich würde es niemandem empfehlen, der ein echtes Anwaltsdrama sucht. Aber wenn man Lust hat auf Camp, Eskalation und Gruppengucken mit Lästern, dann ist es genau die Art Serie, die man bis zum Ende durchzieht.
All bad? Vielleicht.
All verloren? Noch nicht. Warten wir mal Staffel 2 ab.